"Jenufa" in der Sprache des Herzens Diese Dame ist keine leibhaftige Leihgabe aus Lorca-Land Von Ulrich Weinzierl Wien - Zwar trägt Agnes Baltsa als Enkel mordende Küsterin geziemendes Schwarz, aber mit einem versteinerten Monster des Matriarchats hat sie nichts zu tun. In ihr lodert Leidenschaft, ihre Untat versteht sie als Rettung der geliebten, von Schande bedrohten Jenufa. Selten begreift man so klar, wieso Janáceks populärstes Werk eigentlich "Ihre Ziehtochter" heißt.
In der Tat steht an der Wiener Staatsoper die strahlend düstere Gestalt der Küsterin Buryia im Mittelpunkt. Mit ihrem Rollendebüt setzt die Baltsa Maßstäbe. Das freilich schmälert Angela Denokes Leistung in der Titelpartie nicht. Sie singt in der Muttersprache des Herzens - mit aller Süße und Verzweiflung. Als Laca, Jenufas anfangs verschmähter, schließlich erhörter Verehrer, macht Jorma Silvasti ebenfalls blendende Figur: ein treuer Tollpatsch, dem das Messer etwas zu locker sitzt. Aus Liebe stolpert er in Eifersucht und verletzt dabei die Geliebte. Seinem Rivalen und Halbbruder Stewa (Torsten Kerl), der Jenufa geschwängert hat, scheint er von Anbeginn überlegen. Doch sogar abgesehen von den Protagonisten besticht das Ensemble der Produktion durch höchste Qualität - mit der Buryia der unverwüstlichen Anny Schlemm an der Spitze.
Dass Max Brods "Jenufa"-Übersetzung so überzeugend gespielt wird, ist das Verdienst der Regie. Rechtens vertraut der britische Janácek-Spezialist David Pountney auf die dramatische Wucht des Stoffs: "Jenufa" ist auch ohne Modernisierungsversuche modern genug. Pountney erzählt die Geschichte der Familientragödie nüchtern und feurig zugleich. Robert Israel ließ dafür eine gewaltige, schicksalsträchtige Mühlenmaschine bauen, in der Menschen wie Korn klein gemahlen werden. Von Akt zu Akt wird das Bühnenbild abstrakter, bis zum Schluss bloß ein leerer Erlösungsraum übrig bleibt. In ihm wagen zwei Halbzerstörte, Jenufa und Laca, einen Neubeginn nach der Katastrophe. Sanft berühren sie einander mit den Köpfen.
Naturgemäß verwendet der künftige Musikdirektor des Hauses am Ring die schroffere, so genannte Brünner Fassung der "Jenufa" von anno 1908. Trotzdem zaubert Seiji Ozawa aus dem Orchestergraben philharmonischen Klangreichtum. Kurzum: ein Triumph für Janácek.